Spitzenverband: drei Gedanken zur Zukunft der Integration

Deutschland erlebt die höchste Zuwanderung seit 70 Jahren. Allein 1,2 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer suchen hier Schutz. Trotzdem will der Bund massiv bei der Migrationsberatung sparen. „Die Folgen wären dramatisch – für die Menschen, aber auch für den Staat, der später die Kosten verpasster Integration stemmen muss“, so Kirsten Schwenke, Vorständin der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL).

1. Der Hintergrund: Fachkräftemangel, Zuwanderung und gespaltene Gesellschaft

Ob Fachkräfte in der Pflege oder Mitarbeitende in der Gastronomie: Deutschland fehlen Arbeitskräfte. Vor wenigen Wochen hat der Bundestag das Fachkräfteeinwanderungsgesetz novelliert. Damit soll Zuwanderung von wenigstens 400.000 Menschen pro Jahr ermöglicht werden, wie von Wirtschaftsverbänden und -instituten gefordert. Zur Einordnung: Die Fachkräftelücke lag im März 2023 bei 538.000 Stellen.

Die gute Nachricht: Deutschland ist Einwanderungsland. 2022 sind so viele Menschen wie noch nie eingewandert, nämlich 2,7 Millionen. Deutschland wird außerdem Schutzland bleiben. Angriffskrieg in Europa, gewaltsame Konflikte im Nahen und Mittleren Osten, Klimakrise – die Zahl der Geflüchteten steigt. „Viele können auf Dauer bleiben und wollen sich in die Gesellschaft integrieren“, sagt Kirsten Schwenke. „Das trifft sich gut mit dem Arbeitskräftebedarf.“

Die schlechte Nachricht: Wir müssen uns bei der Integration mehr anstrengen. „Die Menschen, die zu uns kommen, müssen sich willkommen fühlen“, so Kirsten Schwenke. Jens Rautenberg, der bei der Diakonie RWL das Geschäftsfeld Flucht, Migration und Integration leitet, erklärt: „Die Behörden sind häufig überlastet. Bis Anträge bearbeitet sind, vergehen oft Monate.“ Auch die Wartezeiten bei der Anerkennung von Berufs- und Studienabschlüssen, auf Deutschkurse oder Kita-Plätze sind zu lang. Gleichzeitig kommen Geflüchtete in einer Gesellschaft an, die immer stärker polarisiert: Migrationsfeindliche Parteien erstarken, rechtsextreme Meinungen werden salonfähiger, politisch motivierte Straftaten nehmen zu. „Eine lebendige Willkommenskultur trägt dazu bei, dass unsere Gesellschaft zusammenhält. Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“, betont die Vorständin der Diakonie RWL.

2. Die Sparpläne der Bundesregierung

Der Bund setzt den Rotstift an: Der Haushaltsentwurf für 2024 sieht für die Beratungs- und Unterstützungsangebote für Zugewanderte und Geflüchtete nur noch 143 Millionen Euro vor, eine Kürzung um ein Drittel bezogen auf das laufende Jahr. Um die Arbeit qualitativ gut und finanziell auskömmlich weiterführen zu können, braucht es im kommenden Jahr aber zusammengenommen rund 240 Millionen Euro für die Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte (MBE), die Jugendmigrationsdienste (JMD), die psychosozialen Zentren für Geflüchtete (PSZ) sowie die behördenunabhängige Asylverfahrensberatung (AVB-Bund). 

Migrationsberatung für Erwachsene: Kürzung um 30 Prozent

Die rund 350 MBE-Beratungsstellen in 172 NRW-Städten und -Gemeinden haben 2022 mehr als 70.000 Menschen bei ihrer Wohnungs-, Ausbildungs- und Arbeitssuche unterstützt, zu Bildungs- und Gesundheitsthemen sowie Behördenkontakt beraten und Sprachkurse vermittelt. Die Bundesregierung will die Beratung von 81,5 Millionen Euro auf 57,5 Millionen Euro zusammenstreichen. „Das Programm war bisher schon nicht ausreichend finanziert“, so Rautenberg. „Eine Kürzung hätte gravierende Auswirkungen auf das Beratungsangebot: Allein in NRW gäbe es rund 80 Vollzeitstellen weniger für die Beratung. Damit könnten wir ungefähr 20.000 Menschen weniger pro Jahr unterstützen.“ Die Diakonie RWL fordert deshalb mindestens 89,2 Millionen Euro, um die Integrationsarbeit zu erhalten.

Jugendmigrationsdienste: Kürzung um 40 Prozent

Auch die Jugendmigrationsdienste sollen auf 58,8 Millionen Euro gekürzt werden. „Das trifft die insgesamt 78 Standorte in NRW mit verbandsübergreifend 135 Vollzeitstellen hart“, so Rautenberg. 2022 begleitete das Programm in dem Bundesland fast 23.000 junge Menschen, hinzu kamen 365 Gruppenangebote wie Sprachtrainings und Freizeitaktivitäten. „Um den Jugendmigrationsdienst gut zu erhalten, sind mindestens 78,8 Millionen Euro nötig.“

Derzeit sind bei den Wohlfahrtsverbänden in NRW noch 65 Respekt Coaches zur Extremismusprävention im Einsatz, die 2022 über 18.000 Schülerinnen und Schüler erreichten. Sie sind ein Teilprogramm der Jugendmigrationsdienste – und müssten zum Jahresende ihre Angebote einstellen. Diakonie RWL-Vorständin Kirsten Schwenke: „Die Gesellschaft polarisiert zunehmend, rechtsextreme Straftaten nehmen zu. Wir können es uns nicht leisten, jetzt bei der Extremismusprävention zu kürzen.“

Psychosoziale Zentren: Kürzung um 60 Prozent

Wer vor Krieg, Gewalt oder politischer Verfolgung flieht, braucht nicht nur einen sicheren Ort, sondern auch Unterstützung, die Traumata zu verarbeiten. „Die 16 psychosozialen Zentren in NRW arbeiten bereits am Limit“, berichtet Rautenberg. Die Zentren sind oft die einzigen Anlaufstellen für Geflüchtete – die sprachlichen und finanziellen Hürden für eine reguläre Therapie sind zu hoch. Die Bundesregierung will trotzdem die Unterstützung und Therapie traumatisierter Geflüchteter um mehr als die Hälfte auf 7,1 Millionen Euro kürzen. „Dadurch verlören viele den einzigen Zugang zu psychosozialer Hilfe“, so Kirsten Schwenke. „Das hätte nicht nur Folgen für die Gesundheit und die Integrationschancen der Betroffenen, sondern auch für unsere Gesellschaft.“ Sie plädiert dafür, die Förderung bei den zuletzt gewährten 17,5 Millionen Euro zu belassen, obwohl angesichts des Bedarfs ein noch deutlich höherer Betrag vonnöten wäre.

Asylverfahrensberatung: Kürzung um 50 Prozent

Für ein rechtsstaatliches und faires Asylverfahren ist eine gute Information und Beratung aller Schutzsuchenden unerlässlich. Das steht seit Anfang 2023 auch im Asylgesetz, das eine flächendeckende und behördenunabhängige Asylverfahrensberatung vorsieht. Bis 2026 sollte die Förderung auf 80 Millionen Euro steigen – doch die Bundesregierung will nun sparen. „Das ist absurd“, sagt Rautenberg. „Die Förderung ist erst in diesem Jahr mit 20 Millionen Euro gestartet und sollte stufenweise ausgebaut werden. Wenige Monate später halbiert die Bundesregierung ihre Mittel.“ In NRW nehmen die 40 Beraterinnen und Berater aktuell ihre Arbeit auf, vor allem in den Landesunterkünften. „Die Aufstockung des Angebots und weitere Beratungsstellen sind dringend nötig, um wenigstens einen Teil der aktuell über 40.000 Antragsstellerinnen und Antragssteller, Tendenz steigend, beraten zu können.“

3. Die Folgen: Deutschland zahlt drauf

Die Diakonie RWL-Vorständin fordert die Abgeordneten im Deutschen Bundestag auf, den von der Ampel-Regierung geplanten Kürzungen keinesfalls zuzustimmen und im parlamentarischen Beratungsverfahren deutlich nachzubessern: „Sonst droht ein Kahlschlag für die Beratungslandschaft.“ Den Bundestagsabgeordneten müsse ihre Verantwortung für das Gemeinwesen bewusst sein.

NRW als Bundesland mit der höchsten Zuwanderung wäre besonders betroffen. Zwar sei die Integrationsarbeit mit eigenen Mitteln auch 2024 weiterhin auf einem soliden Weg, aber: „Unsere Angebote sind eng miteinander vernetzt und aufeinander angewiesen. Fallen wichtige Bausteine weg oder werden bis zur Unkenntlichkeit verkleinert, droht das gesamte Gerüst einzustürzen“, so Schwenke. Sie appelliert an die Landespolitik, sich bei Bundesregierung und Bundestag für den Erhalt der Mittel einzusetzen. „Wir müssen die Integration stärken. Etwas anderes können wir uns angesichts der starken Zuwanderung auch gar nicht leisten“, so die Diakonie RWL-Vorständin. „Wer heute bei Migration und Integration spart, wird in den nächsten Jahren draufzahlen.“

Text: Diakonie RWL – Jens Rautenberg, Friederike Menzemer, Susanna Thiel und Jana Hofmann

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