Kirsten Schwenk (Diakonie RWL) zum heutigen Weltfrauentag: wünschte, Tag müsste es in absehbarer Zeit nicht mehr geben

Weniger Geld, mehr Care-Arbeit, niedrigere Positionen im Job: Von echter Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen kann noch nicht die Rede sein. Kirsten Schwenke, erster weiblicher Vorstand des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe (Diakonie RWL), erklärt im Interview zum heutigen Weltfrauentag, was sich dringend ändern muss.

Frau Schwenke, Sie haben zwei Töchter, die Mitte 20 sind. Was wünschen Sie denen zum heutigen Weltfrauentag?

Kirsten Schwenke: „Dass es diesen Tag in absehbarer Zeit nicht mehr geben muss. Denn wenn wir in diesem Tempo in Sachen Gleichberechtigung weitermachen, ist eine volle Gleichberechtigung erst erreicht, wenn die beiden bereits in Rente sind: Bis Männer und Frauen weltweit gleichberechtigt sind, könnte es nach einer Analyse der Weltbank noch mehr als 50 Jahre dauern. Das würde bedeuten, dass meine Töchter dieselben Hürden im Berufsleben meistern müssen wie viele Frauen jetzt und in den Jahrzenten zuvor. Mein Wunsch wäre, dass sie nicht aufgrund einer Frauenquote eingestellt werden oder in Führungspositionen kommen, sondern einfach weil sie etwas können.“

Welche Rahmenbedingungen müssen verändert werden, damit die Care-Arbeit – zum Beispiel die Betreuung von Kindern oder Pflege von Angehörigen – als eine Aufgabe von Männern und Frauen gleichermaßen wahrgenommen wird?

„Wir brauchen mehr Flexibilität, damit alle, die es möchten, in Vollzeit arbeiten können. In der heutigen Gesellschaft müssen Frauen finanziell eigenständig sein, nicht über ihre Männer abgesichert leben. Nach der Elternzeit steigen zwar mittlerweile viele Frauen wie selbstverständlich wieder in ihren Job ein. Allerdings arbeiten viele dann in Teilzeit und nehmen damit eine geringe Rente in Kauf. Insgesamt sind familienfreundliche Arbeitsbedingungen nötig: Arbeitgeber sollten bereit sein, neue Wege zu gehen, damit Frauen nicht mehr in der Zwickmühle stecken, sich zwischen Kindern und Karriere entscheiden zu müssen. Dazu braucht es auch bessere Rahmenbedingungen in der Kinderbetreuung mit flexiblen Ganztagsangeboten. Beim derzeitigen Fachkräftemangel können wir es uns nicht leisten, auf die wertvolle Arbeitskraft von Frauen zu verzichten.“

Aktuelle Studien zeigen, dass Hausarbeit und Kinderbetreuung immer noch als „Frauenarbeit“ verstanden werden, sagt Kirsten Schwenke, erster weiblicher Vorstand des Diakonischen Werkes Rheinland-Westfalen-Lippe (Diakonie RWL). Foto: Pixabay

Warum sollen sich eigentlich nur Frauen zwischen Kindern und Karriere entscheiden müssen?

„Aktuelle Studien zeigen, dass Hausarbeit und Kinderbetreuung immer noch als ‚Frauenarbeit‘ verstanden werden. In vielen Familien sind Frauen dafür zuständig, dass etwas auf den Tisch kommt, die Wäsche gewaschen ist und die Schulaufgaben erledigt sind oder Angehörige gepflegt werden: der „Gender Care Gap“. Der Zweite Gleichstellungsbericht der Bundesregierung hat diese Ungleichheit in konkreten Zahlen festgehalten. Der durchschnittliche ‚Gender Care Gap‘ liegt bei rund 52 Prozent. Das heißt: So viel mehr Zeit als Männer wenden Frauen täglich für unbezahlte Tätigkeiten auf. Bei Mittdreißigern war der ‚Gender Care Gap‘ mit 110 Prozent sogar noch höher, denn in diesem Alter ist der Spagat zwischen Kindern und Karriere besonders groß: 5,18 Stunden investieren 34-jährige Mütter täglich für unbezahlte Arbeit. Bei gleichaltrigen Vätern sind es nur 2,31 Stunden. Während der Pandemie haben viele Frauen ihre Care-Arbeit noch weiter erhöht, das Pegel hängt also deutlich schief. Wir brauchen ein Umdenken in den Köpfen: Kinderbetreuung, Hausarbeit und die Pflege von Angehörigen sind Aufgaben von Frauen und Männern! Da Care-Arbeit aktuell zu 80 Prozent von Frauen geleistet wird, ist dieser ‚Care Gap‘ die Hauptursache für den finanziellen ‚Pay Gap‘. Das muss sich ändern!“

Sie sprechen den „Pay Gap“ an. Die ungleiche Bezahlung ist und bleibt ein großes Thema.

„Ja, nach wie vor verdienen Frauen bei gleicher Ausbildung und Qualifikation durchschnittlich 18 Prozent weniger als Männer. Der ‚Gender Pay Gap‘ ist ein gesellschaftlicher Skandal. Dazu kommt, dass viele Berufe, die in der Pandemie als systemrelevant empfunden und öffentlich wertgeschätzt wurden, in Frauenhand bleiben und deutlich unterbezahlt sind. Immer wieder hört man die politische Forderung, diese Berufe finanziell aufzuwerten, um sie auch für Männer attraktiv zu machen. Ich finde das beschämend: Für Frauen ist es zumutbar, wenig zu verdienen, für Männer aber nicht? Soziale Berufe sollten so bezahlt werden, dass man damit eine Familie ernähren kann – egal ob Mann oder Frau.

Diese finanzielle Brisanz spitzt sich bei den Alleinerziehenden noch zu, und das sind zu knapp 90 Prozent Frauen: Eine Erhebung der Bertelsmann-Stiftung belegt, dass knapp 43 Prozent aller Ein-Eltern-Familien als einkommensarm gelten. Das Armutsrisiko für Frauen und ihre Kinder liegt damit fast fünfmal höher als bei Paar-Familien und verharrt auf hohem Niveau.“

Warum sehen wir immer noch so wenige Frauen in Führungspositionen?

„Es gibt mittlerweile zwar mehr Frauen in Führungspositionen – aber immer noch nicht genug: Laut statistischem Bundesamt sind in Deutschland gut 29 Prozent der Führungs­positionen von Frauen besetzt. Im Vergleich zu den anderen EU-Mitglied­staaten liegen wir damit nur im unteren Drittel. Für Unternehmen und Verbände sollten klar verankerte Zielvorgaben Standard sein, um mehr Frauen in Gremien und Führungspositionen zu bekommen. Der Diakonische Governance Kodex bekennt sich zum Ziel einer geschlechtergerechten Zusammensetzung von Gremien, Organen und Leitungsstellen. Bis zum Jahr 2026 soll ein Mindestanteil von jeweils 40 Prozent Frauen und Männern umgesetzt sein. Meines Erachtens müssen Führungspositionen auch in Teilzeit oder als geteilte Stelle möglich sein. Frauen brauchen keine unzähligen Förderprogramme, bis sie die Kompetenzen für bestimmte Positionen haben. Ihnen müssen nur die Möglichkeiten gegeben werden!“

Das Interview führte Ilka Hahn, Leiterin der Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit der Diakonie RWL.

Weitere Neuigkeiten

Tag der offenen Tür an Glück-Auf-Schule: unsere TOPS stellt sich vor

Erneut laden Leitung und Kollegium der Glück-Auf-Schule an der Teutoburger Straße 35 zum Tag der offenen Tür ein. Gleichzeitig stellt sich auch unsere Tagesgruppe TOPS vor.

Neuro Art: Klientinnen versuchen sich im achtsamen Malen

Gleich mehrere Frauen, die im Rahmen unserer Wohnungslosenhilfe betreut werden, hatten sich zusammengetan, um eine Kunstaktion auf die Beine zu stellen. Initiiert hatte das Projekt eine Klientin, die den Wunsch hatte, sich einmal künstlerisch auszuleben.

Unterstützung für Kinder im Lebens- und Lernraum Schule

Montagvormittag, kurz vor 12: Die Kinder einer Oberhausener Grundschule genießen die zweite große Pause, spielen, quatschen, ärgern sich. Mitten unter ihnen: unsere Schulsozialarbeiterinnen Lisa-Marie Ryl und Julika Koppitsch.

Philipp Jongen ist neuer Fachbereichsleiter unserer Familienhilfe

Ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in einer Behindertenwerkstatt weckte Philipp Jongens Interesse für die Soziale Arbeit. Seit dem 1. Dezember 2023 ist er der neue Fachbereichsleiter unseres Betreuungsvereins.

„Safer use“ gesichert: Wir übernehmen Befüllung der Spritzenautomaten

Noch im November vergangenen Jahres berichtet der WDR über die „schwere Entscheidung“ der Aidshilfe Oberhausen, die beiden Spritzenautomaten am Berliner Platz in der Stadtmitte und am Bunkerparkplatz in Sterkrade aufgrund von Geld- und Personalmangel aufgeben zu müssen. Vor wenigen Wochen dann die gute Nachricht.

Unsere Gruppen beteiligten sich an Oberhausener Frühjahrsputz

Zahlreiche Kinder und Jugendlichen unserer Wohn- und Tagesgruppen folgten dem Aufruf von Theo Tonne und beteiligten sich am traditionellen Frühjahrsputz, der größten dezentralen Müll-Sammelaktion in Oberhausen.

Betreutes Wohnen: partizipatives Fahrradprojekt startet im Frühjahr

Sobald sich das Wetter beständig von seiner besseren Seite zeigt, soll es endlich starten: das Fahrrad-Projekt der Klientinnen und Klienten unserer Wohnhilfen. Ziel sind gemeinsame Touren in der näheren Umgebung.

Weltfrauentag: „Lore“ stellt bedeutende Frauen an Schaufenster aus

Am heutigen Internationalen Frauentag* haben sich natürlich auch die Mitarbeiterinnen unserer Fachberatungsstelle für Frauen in Wohnungsnot, unsere „Lore“, etwas Besonderes einfallen lassen.

Unterstützung auf Augenhöhe: Peer-Beratung in unserem PGZ

„Steh‘ doch einfach auf!“, „Kümmere dich am bestens sofort darum!“, „Stell‘ dich nicht so an!“, „Das wird schon wieder!“ – All diese Ratschläge mögen zwar gut gemeint sein. Menschen mit psychischen Erkrankungen helfen sie aber nicht. Für sie ist eben dieses „einfach aufstehen“ oft schon ein Problem. Wie aber soll man das jemandem erklären, der nicht betroffen ist?

„BeWo“-Maßnahme erfolgreich beendet: Alexander* steht auf eigenen Beinen

Der Liebe wegen war der ursprünglich aus dem Bergischen Land stammende Alexander* nach Oberhausen gezogen. Als die Beziehung scheiterte, fand er in einer Wohngemeinschaft in Duisburg ein neues Zuhause. „Meine Mitbewohner hatten allerdings ein massives Drogenproblem“, erzählt der heute 30-Jährige. Um nicht ebenfalls im Drogensumpf zu versinken, hätte Alexander eine neue Wohnung suchen müssen. „Ich hatte schon einmal versucht, selbstständig zu leben – und war gescheitert.“

Weitere Informationen hier

Besuchen Sie uns auch in diesen Netzwerken und bleiben Sie gut informiert.