Eine App für den Durchblick im Heimalltag

Die Kinderrechte-App „Justy“ soll für Kinder und Jugendliche, die in Einrichtungen der stationären Jugendhilfe wohnen, digitaler Wegweiser, Ratgeber und Beschwerdestelle sein – aber auch eine Plattform zum Austausch. Das Diakonische Werk Rheinland-Westfalen-Lippe (Diakonie RWL) ist federführend für das fünfjährige Projekt verantwortlich. Die Aktion Mensch Stiftung fördert die Entwicklung der App finanziell. 

In Leons* Leben ist bislang vieles schlecht und wenig gut gelaufen. Nun ist der 15-Jährige in die Wohngruppe einer diakonischen Einrichtung eingezogen. Doch der Neuanfang in der unbekannten Umgebung mit unbekannten Menschen ist für den Jugendlichen erst einmal eine Herausforderung: Welche Rechte habe ich? Wie darf ich über mein Taschengeld verfügen? An wen kann ich mich wenden, wenn ich innerhalb der Gruppe mit niemandem reden kann? Für Ratsuchende wie Leon ist die neue Kinderrechte-App „Justy“ gedacht. Deren Ziel: Kindern und Jugendlichen in der Heimerziehung die Möglichkeit bieten, sich auf einer digitalen Plattform spielerisch über Rechte und Beschwerdemöglichkeiten informieren und untereinander oder mit Fachkräften austauschen zu können.

„Gerade wenn junge Menschen neu in eine solche Einrichtung kommen, prasselt vieles auf sie ein. Die Unsicherheit ist groß, und es fällt ihnen oft schwer, einen Überblick zu bekommen“, sagt Tim Rietzke, Geschäftsfeldleitung Familie und junge Menschen beim Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe (Diakonie RWL), in deren Verbandsgebiet 140 diakonische Träger rund 12.000 Plätze in der stationären Jugendhilfe anbieten.

Tim Rietzke leitet das Geschäftsfeld Familie und junge Menschen beim Diakonischen Werk Rheinland-Westfalen-Lippe (Diakonie RWL). Foto: Andreas Endermann/Diakonie RWL

Kinderrechte stärken

Die Diakonie RWL ist federführend für das Projekt verantwortlich, das im Januar 2023 startet. Das Team der beemo GmbH in Münster übernimmt die technische Umsetzung der App, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Lehrstuhls für angewandte Sozialwissenschaften an der FH Dortmund begleiten das Projekt. Die Inhalte der App werden gemeinsam mit Jugendlichen und Fachkräften aus Erziehungshilfe-Einrichtungen entwickelt. Über Interviews und in Workshops werden sie regelmäßig ihre Ideen und Wünsche einbringen, die dann in der App berücksichtigt werden. Nach verschiedenen Testläufen soll „Justy“ dann innerhalb der nächsten drei Jahre in sechs ausgewählten Einrichtungen der stationären Erziehungshilfe im Verbandsgebiet der Diakonie RWL im Alltag erprobt und genutzt werden; im Anschluss kommen weitere Einrichtungen hinzu. Perspektivisch soll die App bundesweit allen interessierten Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Gefördert wird das Projekt von der Aktion Mensch Stiftung und zwar mit rund 940.000 Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren (bis 2027). 

Zusätzliches Medium anbieten

„Wir möchten mit ‚Justy‘ die Rechte sowie die Teilhabe und die Partizipation der Kinder und Jugendlichen weiter stärken“, sagt Tim Rietzke. „Auf keinen Fall soll die App den persönlichen Kontakt und den vertrauensvollen Umgang innerhalb der Einrichtungen ersetzen“, betont er. „Vielmehr möchten wir dem Wunsch junger Menschen nachkommen und ihnen ein zusätzliches, digitales Medium bieten.“ 

Die Idee zu einer App kam bereits im Jahr 2019 auf. Damals berichtete die Ombudschaft Jugendhilfe NRW, die externe unabhängige Beschwerdestelle im Land, dass sie zwar regelmäßig kontaktiert würde, häufig aber von Eltern und Großeltern, anderen Personenberechtigten oder Fachkräften aus den Einrichtungen. Jugendliche selbst nutzten die bestehenden Kanäle wie Telefon oder Mail weniger stark. „Mit unserer App möchten wir Beschwerdestellen bekannter machen und jungen Menschen im Bereich der Heimerziehung neue, niederschwellige Zugänge ermöglichen“, sagt Rietzke. Bislang, so schildert er weiter, würden die Jugendlichen beim Einzug in eine Wohngruppe beispielsweise einen Rechteratgeber in Papierform bekommen oder Broschüren und Flyer. Rietzke: „Aber so was landet bei einigen in der hintersten Zimmerecke oder direkt im Müll.“

Die Kinderrechte-App „Justy“ soll für Kinder und Jugendliche, die in Einrichtungen der stationären Jugendhilfe wohnen, digitaler Wegweiser, Ratgeber und Beschwerdestelle sein. Foto: Pexels/Katerina Holmes

Interaktive Elemente

Noch steht „Justy“ ganz am Anfang, aber es gibt bereits eine Art Prototyp, der in einer halbjährigen Vorantragsphase entwickelt wurde. Zuvor waren nach Workshops mit Jugendlichen und Fachkräften vier Hauptnavigationspunkte festgelegt worden: Rechte allgemein, ein Lexikon mit Themen rund um Kinderrechte, eine Chatfunktion zum Austausch innerhalb der Wohngruppe mit anderen Jugendlichen oder mit Fachkräften, aber auch mit externen Beschwerdestellen – bei Bedarf anonym. Außerdem wünschen sich die Jugendlichen interaktive Elemente, Podcasts und Erklärvideos. „Wir stellen uns etwa eine Kinderrechte-Rallye vor oder QR-Codes über den Türklinken, hinter denen sich dann zum Beispiel Informationen zum Thema Privatsphäre verbergen“, erklärt Rietzke. Es soll auch eine Möglichkeit geben, das eigene Zimmer mittels „Augmented Reality“ virtuell einrichten zu können. Grundsätzliche Voraussetzung: Die App soll barrierearm funktionieren, also auch für Nutzer*innen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen leicht zu bedienen sein.

Positives Feedback

Kerstin Schwabl, Referentin für Erzieherische Hilfen bei der Diakonie RWL, war maßgeblich an der Antragstellung des Projekts beteiligt und hat die Workshops vorbereitet und begleitet. „Das Feedback in den Workshops war durchweg positiv, die Idee einer App kam bei den Jugendlichen richtig gut an, und die beteiligten Fachkräfte waren ebenfalls angetan“, berichtet sie. Das ist auch deshalb wichtig, weil die Mitarbeitenden in den Einrichtungen die App letztlich für ihr Haus anpassen und entsprechend einbinden müssen. Als Teil des Projekts soll dazu ein Implementierungskonzept entwickelt und den Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden. Tim Rietzkes Fazit: „Wir sind alle hoch motiviert und freuen uns, das Projekt innerhalb der kommenden Jahre umzusetzen.“  

(* Name von der Redaktion geändert)

Text: Verena Bretz

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